Information vs. Meinung: diffamierende Webseiten erkennen

Wioletta Katharina Schlosek
Wioletta Katharina Schlosek
Director Business Development
Length
8 min read
Date
9 June 2021

Am 26. Mai 2021 hat die EU erneut beschlossen, konsequenter gegen Desinformationen im Internet vorzugehen. Denn “Fake News” und “Hate Speech” sind als provokative Inhalte ein unethisches, aber leider immer noch erfolgreiches Geschäftsmodell. Doch wie identifizieren wir Webseiten-Umfelder, in denen Werbebanner oder externe Verlinkungen besser nicht gesetzt werden sollten? Was sind eindeutige Kriterien, die eine Webseite als verlässliches Informationsportal ausschließen? Wir haben eine Stichprobe gemacht.

Warum sind provokative Inhalte ein Geschäfts-Modell?

Die Anmeldung im Google-Werbenetzwerk ist sehr einfach. Entsprechend häufig nutzen Blogger:innen, Foren- und Webseiten-Betreiber:innen die Möglichkeit, über Display-Netzwerke die Fläche der Webseite als Werbefläche zur Verfügung zu stellen. Die Banner werden über das Netzwerk automatisiert ausgeliefert und bei jeder Einblendung des Banners erhalten die Webseitenbetreiber:innen eine Bezahlung.

Bannerwerbung auf einer Webseite ist eine einträgliche Einnahmequelle. Je mehr Klicks generiert werden, desto relevanter wird ein Inhalt in Algorithmen bewertet und desto höher sind die Einnahmen aus Impressionen und Klicks.

Automatisierte Vorfilterung durch die Plattformen

Bevor ein:e Webseitenbetreiber:in bzw. Publisher:in am Display-Netzwerk teilnehmen darf, durchlaufen die Inhalte seiner oder ihrer Webseite eine automatisierte Überprüfung. Google beispielsweise weist in seinen Richtlinien die Publisher:innen darauf hin, welche Inhalte gegen die Richtlinien verstossen:

– Illegale Inhalte
– Verletzung geistigen Eigentums
– Produkten aus gefährdeten oder bedrohten Tierarten
– Gefährliche oder abwertende Inhalte
– Ermöglichung von unlauterem Verhalten
– Inhalte mit Falschdarstellungen
– Malware enthalten
– Sexuell explizite Inhalte oder sexuelle Handlungen gegen Vergütung
– Heiratsvermittlung
– Nicht jugendfreie Themen in Familieninhalten
– Sexueller Missbrauch

Eindeutig strafrelevante Inhalte oder Inhalte, die explizite sexuelle Handlungen beschreiben, lassen sich vergleichsweise einfach durch automatisierte Keyword-Abfragen auf den jeweiligen Webseiten ermitteln. Google schließt hier bereits zahlreiche Webseiten aus, die gegen die Regeln verstossen.

Meinungs-, Medien-, Kunst- & Forschungsfreiheit wahren

Jedoch gibt es neben den eindeutig strafrelevanten Sprachhandlungen zahlreich Graubereiche, die automatisiert schwer erkennbar sind, wenn gleichzeitig die Meinungs-, Medien-, Kunst- und Forschungsfreiheit gewahrt wird. Auf Webseiten betrifft das laut Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft in erster Linie:

– Meinungs- und Informationsfreiheit (z.B. Blogs, Webseiten)
– Kunstfreiheit (z.B. Songtexte, Witze, T-Shirt-Shop)
– Medienfreiheit (z.B. Zitate, Rezensionen, Ratgeber gegen Mobbing)
– Freiheit der Forschung (z.B. Zitate, Forschungsgegenstand, Nachschlagewerke)

Es sind Webseiten-Betreiber:innen oder Autor:innen, die mittels einer eingenommenen Rolle oder einer Aufgabe durchaus auch kontroverse Begriffe benutzen und zitieren. Die Verfasser:innen distanzieren sich aufgrund ihrer Rolle oder Aufgabe von Aussagen bzw. dem benutzten Begriff. Entspricht der Inhalt der Meinung der Autorin oder des Autors, ist dies klar zu kennzeichnen. So wird für die Leserin und den Leser klar erkennbar, dass es sich beim Inhalt nicht um eine neutrale Information im Sinne journalistischer Berichterstattung handelt, sondern um einen wertenden Text, der einen Interpretationsspielraum nutzt.

Beleidigende und diffamierende Inhalte erkennen

Mindestens im Grenzbereich befinden sich Beiträge von Personen, die unreflektiert beleidigende oder diffamierende Begriffe im direkten Bezug zu anderen Personen oder Gruppen nutzen und diese nicht als ihre Meinung (Kommentar, Glosse, Kolumne etc.) erkennbar machen. Eine Trennung zwischen Fakten und Kommentar muss z.B. bei journalistischen Beiträgen laut Schweizer Presserat immer erkennbar sein.

Um Webseiten zu identifizieren, die mehrfach dadurch auffallen, üble Beleidigungen gegenüber anderen Personen auszusprechen, benötigen wir ein Set an Begriffen und Phrasen, die diese Entscheidung eindeutig machen. Kunstformen, Zitate, Rezensionen, Nachschlagewerke, Ratgeber gegen z.B. Mobbing oder ein Forschungsgegenstand sollten dabei nicht erfasst werden.

Stichprobe

Um ein solches Abfrage-Set erstellen zu können, haben wir in einer Stichprobe diverse Suchanfragen bei Google durchgeführt, um Webseiten zu ermitteln, die besonders häufig Einzelpersonen oder Gruppen direkt beleidigen oder diffamieren. Als besonders hilfreich erweisen sich Suchanfragen, in denen drei Begriffe als exakt-Begriff (mit Anführungszeichen) gesucht werden. Das stellt sicher, dass URLs, die von Google angegeben werden, auch exakt diese Begriffe enthalten. Im besten Fall werden hierzu Webseiten gelistet, die eine inhaltliche Richtigstellung formulieren und diese Begriffe als Zitat verwenden. Ein Blick in die Suchergebnisse zeigt jedoch, dass die meisten gelisteten Webseiten diese Begriffe nicht als Zitat sondern vollkommen unreflektiert benutzen:

Diese Art der Abfrage stellt sicher, dass für die Stichprobe nur Webseiten gefunden werden, die eine besonders hohe Dichte an derben Begriffen enthalten. Aus den bei Google gelisteten URLs lassen sich dann die Textinhalte extrahieren, um darin die Wortfrequenzen zu zählen. Besonders auffällig oft wurden – neben den angefragten Begriffen – die links aufgeführten Begriffe genutzt.

Bei der stichprobenhaften Auswertung beleidigender Webseiten, die nicht der Meinungs-, Kunst-, Forschungs- und Medienfreiheit unterliegen, lassen sich folgende Muster in der Wortverwendung erkennen:
– derbe Wortwahl
– Dysphemismen
– keine Anführungszeichen, um direktes Zitat zu kennzeichnen
– kein Konjunktiv, um indirektes Zitat zu kennzeichnen

Merkmale unreflektierter beleidigender und diffamierender Inhalte

Auffällig oft nutzten diese Webseiten Begriffe, die laut DWDS (Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache) als “derb” oder “abwertend” eingestuft sind. Das DWDS nutzt zur Einstufung Belege für die möglichen Verwendungen eines Wortes und leitet diese aus 27 Milliarden Belegen aus historischen und gegenwartssprachlichen Textkorpora ab.

Dysphemismen sind häufig im DWDS oder dem Duden nicht enthalten, da sie Wortneuschöpfungen oder Bedeutungsverschiebungen eines Wortes sind und häufig erst über Social-Media-Beiträge den Eingang in den redaktionell geführten Diskurs finden und damit erst später über Einträge in Textkorpora erfasst werden. Sie enthalten oft eine negative Bewertung oder lösen eine negative Assoziation aus. Dysphemismen haben eine stark abwertende Funktion und werden häufig verwendet, da diese ähnlich einer Codierung von der Zielgruppe zwar verstanden, aber durch Algorithmen nicht (oder erst verzögert) blockiert werden. Mit ihnen lassen sich kontroverse Themen platzieren, ohne direkt einen Ausschluss durch einen Algorithmus zu riskieren.

Indirekte Zitate sind durch die Verwendung des Konjunktivs erkennbar. Anführungszeichen signalisieren eindeutig direkte Zitate. Beide drücken die kritische Distanz des Autors oder der Autorin zum Gesagten aus. Eine derbe Wortwahl und Dysphemismen haben eine klar bewertende Funktion. Werden diese vom Autor oder der Autorin nicht eindeutig als Zitat erkennbar gemacht, nimmt diese:r selbst diese Haltung ein. Der Beitrag ist dann eindeutig als Kommentar zu kennzeichnen.

Ein positives Beispiel

Ein aufschlussreiches positives Beispiel ergibt sich bei der Google-Site-Abfrage eines strittigen Begriffs innerhalb einer Qualitätszeitung. Suchen wir den Begriff “Vollidioten” via Google auf dem Tages-Anzeiger, zeigt sich, dass dieser nur als indirektes oder direktes Zitat verwendet wird. Ausnahmen sind Meinungsbeiträge (Kommentar, Kolumne, Glosse etc.), die eindeutig als solche gekennzeichnet sind. Denn ein nach journalistischen Richtlinien erarbeitetes Schriftstück folgt immer der Richtlinie 8.1 – Achtung der Menschenwürde des Schweizerischen Presserats: Mit der Informationstätigkeit ist die Achtung der Menschenwürde zu wahren. Derbe Beschimpfungen werden von Redaktionen daher in neutral informierenden Texten nur als indirektes oder direktes Zitat toleriert.

Anstatt des Tagesanzeigers lässt sich natürlich jede beliebige Domain mit der Google-Site-Abfrage prüfen. Fällt eine Domain auffällig häufig dadurch auf, derbe Beschimpfungen oder diffamierende Dysphemismen nicht als Zitat gekennzeichnet zu verwenden? Ist die gesamte Webseite ein Sammlung an beleidigenden oder diffamierenden Meinungsbeiträgen? Werden häufig beleidigende oder diffamierende Beiträge in Kommentarspalten geduldet? In solchen Fällen sollte geprüft werden, ob das ein Webseiten-Umfeld ist, in dem Werbebanner oder externe Verlinkungen gesetzt werden wollen.

Handlungsempfehlung

Zahlreiche Webseiten-Betreiber:innen setzen auf provokative Formulierungen und setzen sich über gängige journalistische Richtlinien hinweg. Häufig geschieht dies, um Klicks zu generieren und um damit in algorithmisch sortierten Listen höher gelistet zu werden.

Schlussendlich müssen wir als Webseiten-Nutzer:innen und -Bewirtschafter:innen entscheiden, ob wir es tolerieren, dass ein Geschäftsmodell auf beleidigende oder diffamierende Weise zur einträglichen Einnahmequelle wird. Wenn wir Webseiten aufgrund ihrer Inhalte von den Bewirtschaftungs-Mechanismen ausschliessen, müssen wir dafür ein eindeutig nachvollziehbares und transparentes Set an Kriterien nutzen, um den Ausschluss zweifelsfrei begründen zu können.

Denn Hass kann zwar eine Meinung sein, aber jedem steht frei, diese abzulehnen und manchmal ist die formulierte Beleidigung oder Diffamierung sogar strafrechtlich relevant. Eine mit journalistischer Sorgfalt ermittelte neutrale Information ist hingegen ein Fakt, der sich nicht leugnen lässt. Hierfür dienen die Vorgaben aus der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft und die Richtlinien des Schweizerischen Presserats. Sie müssen nur konsequent angewandt werden.

Mitmachen: Massive Beleidigungen und Diffamierungen sollten bei den zuständigen Stellen gemeldet werden.

Jede:r kann in der “Stop Hate Speech”-Community dabei helfen, von Hate Speech betroffene Diskussionen auf eine sachliche Ebene zurückzuholen.

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